Agil zum Ziel im Hobbysport?

Wie 11,26 Millionen andere Menschen in Deutschland treibe ich mehrmals in der Woche Sport. Als ambitionierter Hobbysportler setze ich mir Jahr für Jahr neue persönliche sportliche Ziele.
Typischer Weise setzt man bei der Vorbereitung auf einen strukturierten Trainingsplan.

Welche Gründe gibt es von traditionellen Trainingsplan abzuweichen und agil zu trainieren?

Planung unter schwierigen Bedingungen

Training gehört jetzt nicht zu den komplexen Domänen, in denen agile Methoden und Werkzeuge sonst Anwendung finden. Die Reaktion des Körpers auf gezielte Be- und Entlastung ist gut bekannt und planbar. Training ist daher vielleicht kompliziert, aber die Ergebnisse von Training sind tendenziell vorhersagbar. Trainingspläne funktionieren, daran habe ich grundsätzlich keinen Zweifel. Es setzt allerdings voraus, dass eine Planung möglich ist und der Plan umgesetzt werden kann.

Profis, die ihren kompletten Tag auf ihre Vorbereitung ausrichten werden diese Bedingungen vorfinden. Manch andere ambitionierten Sportler auch. Aber für mich als Hobbysportler, mit Familie und einer 40-Stunden Woche, gibt es eine Menge Dinge, die im Training für „Überraschungen“ sorgen können und so die Planung und Umsetzung unsicher machen.

  • Fokussierung. Eigentlich ganz einfach: Ohne klares Ziel kein Plan. Ich habe am Anfang der Saison erstmal nur eine grobe Idee von dem was ich in der Saison so erleben und erreichen will. Aus eigener Erfahrung weiß ich, das sich diese Ziele über die Saison ändern können. Das lässt sich nur schwer mit einer zielgerichteten Vorbereitung vereinbaren.
  • Äusserer Umstände. Was bringt ein Plan, wenn ich mich nicht daran halten kann? Sowohl die Familie, als auch der Beruf haben bei mir eine höhere Priorität als der Sport. Sie geben die Zeitslots vor, in denen Training stattfinden kann, und die sind in den meisten Fällen sehr klein, so das man nicht beliebig verschieben kann. Trotz guter Abstimmung sorgen spontane Termine, Wetter, Verletzungen und Krankheiten dafür, dass man nicht wie geplant trainieren kann.
  • Wissen und Können. Was bringt mir ein Plan, wenn er „falsch“ ist? Mit (un)gesunden Halbwissen und falschen Ehrgeiz erstellt oder wählt man sich einen Trainingsplan, der der nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt. Gut gedacht ist leider nicht immer gut gemacht. Es werden die falschen Trainingsreize gesetzt.
  • Wollen. Was bringt mir ein Plan, wenn ich mich nicht daran halte? Ich kann ein Lied davon singen. Eine ruhige Einheit artet zu einem All-Out aus, und die intensive Einheit fahre ich nicht, weil ich mich zu müde fühle, um mich zu quälen. Mein Eindruck ist, dass ich nicht der Einzige bin, der eine mangelnde Disziplin bei seinem Training an den Tag legt. In jedem Fall wird auch hier nicht dem Plan gefolgt und der gewünschte Trainingsreiz bleibt aus.

Parallelen zur Produktentwicklung

Zwischen einer Produktentwicklung und dem Training gibt es interessante Parallelen. So findet Training häufig unter ganz ähnlichen Bedingungen statt wie ein Projekt in der Produktentwicklung. Betrachten wir das Training vor dem Hintergrund des bekannten Projekt-Management-Dreiecks:

Magische Dreieck des Sports

Das besagt, dass nur zwei der drei Faktoren fest sein können.
Es gibt mit der Saison ein zeitlichen Rahmen, in dem die Ziele erreichen werden sollen. Der ist fest und kann nicht verändert werden. Da ich als Hobby-Sportler auch an dem zeitlichen Aufwand, den ich in mein Training maximal stecken kann, nichts ändern kann, muss bei aller Unsicherheit, der ich mich als Hobby-Sportler in der Planung ausgesetzt sehe, das Ziel flexibel sein!

Fester Zeitrahmen, Begrenzte Ressourcen, Unsicherheit bei Ziel und Umsetzung. Das ist der Rahmen in dem agile Methoden und Werkzeuge klassischer Weise angewendet werden. Bingo!

Wie agile Methoden helfen können

Zunächst mal bieten agile Methoden Hilfe, um mit der Unsicherheit, ob das Ziel erreicht werden kann, umzugehen. Sie dienen der Risiko-Minimierung. Die Gründe für die Unsicherheit, die für das Risiko sorgen, sind dabei erstmal egal. Agile Methoden mögen nicht in allen Fällen der effizienteste Lösungsansatz sein, aber auf jeden Fall effektiv.

Dabei versuchen agile Methoden in mehreren Iterationen den Wert des zu erstellenden Produkts zu maximieren. Das „Produkt“, welches wir Als Sportler bilden ist unsere Form. Die Form ist das Produkt unseres Trainings, dass uns befähigt unsere Ziele zu erreichen.

Inspect and Adapt!

Jede Iteration bildet einen Zyklus (PDCA-Zyklus) aus Planung, Ausführung, Überprüfung und Anpassung. Das Ziel ist zu jeder Zeit die beste zum Ziel passende Form zu produzieren. Das unterscheidet sich von klassischen Training, welches auf ein langfristiges Ziel vorbereitet.

PDCA Zykluss mit Trainingpeaks im Planning und WKO bei der Überprüfung.


Übertragen auf das Training würde dessen Planung unter folgender Frage durchgeführt werden: Wie würde das Training aussehen, wenn die aktuelle Iteration mit dem wichtigsten Wettkampf enden würde? Wie würde ich trainieren, wenn ich z.B nur 3 Wochen Zeit habe, um mich vorzubereiten?
Die Überprüfung des Ergebnis erfolgt dann am Ende der Iteration unter sehr ähnlichen Bedingungen wie auch der Wettkampf, um dann seine Planung basierend auf diesen Ergebnissen anzupassen.

Inkrementell und Interaktiv

Die Entwicklung meiner Form erfolgt dabei inkrementell. Kurz gesagt: Meine Form entwickelt sich möglichst komplett mit allen Facetten, die ein Wettkampf erfordert. So kann ich schon früher Feedback erhalten, auf dem ich meinen Plan anpassen kann und so am Ende sogar das bessere Ergebnis erreichen könnte.
Die folgende Grafik zeigt die Idee von inkrementeller Entwicklung in der Produktentwicklung. Das Ziel das der Kunde hat ist von A nach B zu kommen. Natürlich lässt sich das Beispiel nicht 1:1 auf das Training übertragen, aber ich hoffe die Idee wird klar. Vielleicht nehmen wir an das wir eine bestimmte Strecke als Sportler bewältigen wollen.

Inkrementelle Entwicklung

Im oberen Beispiel wird klassisch nach Wasserfall trainiert. Der Sportler hätte zu Beginn vielleicht eine top Grundlage (Fahrwerk), ihm fehlt aber noch die Tempo-Härte (Karosserie) und die Spritzigkeit (Lenkung). Der Sportler ist erst am Ende der letzen Iteration komplett.
Im Gegensatz dazu wird unteren Beispiel in jeder Iteration alle Anforderungen trainiert, die benötigt werden. Natürlich ist das Ergebnis in den ersten Iteration nicht zufrieden stellend, aber wir erhalten so viel früher Feedback über unsere Wettkampf-Form und können Anpassungen vornehmen.

Fazit

Der agile Werkzeugkasten ist prall gefüllt mit Methoden und Prinzipien, die sowohl bei der Priorisierung unserer Ziele, als auch in den einzelnen Phasen eines PDCA-Zyklus im Training unterstützen können. Sie beweisen ihre Tauglichkeit unter anderen in der Produktentwicklung seit vielen Jahren. Ich selber wende viele der Methoden bei meiner Tätigkeit als Agile Coach an, und ich sehe keinen Grund, warum die Methoden nicht auch im Training sinnvoll eingesetzt werden können.

Die Methoden können helfen das Optimum aus der Saison zu holen, wenn Planung und Umsetzung des Plans aus verschiedenen Gründen unsicher ist.
Wenn echte Planung und auch die Umsetzung dieses Plans weitgehend sicher ist, dann führt ein langfristiger Trainingsplan zu besseren Ergebnissen.

So muss jeder für sich entscheiden, unter welchen Bedingungen sein Training stattfindet und welche Methode am Ende für ihn besser geeignet ist seine Ziele zu erreichen. Ich habe mir auf jeden Fall vorgenommen es dieses Saison mal auf die agile Art zu probieren!