Eine Retrospektive mit Liberating Structures

Retrospektiven haben das Ziel die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern. Wir lernen, welches Handeln wir verstetigen und welches wir ändern müssen. Retrospektiven sind daher ein fester Bestandteil in einem PDCA (Plan-Do-Check-Act) Zyklus. Und auch wir bei SALT AND PEPPER Software Solutions GmbH führen diese Retrospektiven regelmäßig in unseren Projekten durch.

Die Methode, mit der wir ein Meeting strukturieren und umsetzen, hat eine entscheidende Auswirkung auf das Ergebnis. Gerade in der Retrospektive, in der die Beteiligten gemeinsam ihre Zusammenarbeit besprechen, ist die Auswahl von geeigneten Methoden wichtig.

Liberating Structures (LS) sind eine Sammlung von 33 Microstrukturen, die den gemeinsamen Austausch fördern und frischen Wind in Meetings bringen können. Seit ich von den LS in einem Podcast das erste Mal gehört habe, bin ich von den Methoden fasziniert, und versuche diese immer mal wieder in Meetings einzusetzen.

In diesem Artikel beschreibe ich, wie ich mit Hilfe einer Kette von LS eine Retrospektive strukturiert habe.

Die Aufgabe

Ich sollte die Moderation für eine interne Projekt-Retrospektive durchführen. Das Projekt hatte in seiner fast vierjährigen Laufzeit eine bewegte Vergangenheit mit Höhen und Tiefen. Diese sollten im Rahmen einer zweieinhalb stündigen Retrospektive mit allen Beteiligten aufbereitet werden. Die Retrospektive fand mit sechs Teilnehmern statt.

Eins war klar: Ein Projekt, welches über einen Zeitraum von nahezu vier Jahren geht, lässt sich unmöglich in zweieinhalb Stunden vollständig aufarbeiten. Das liegt zum Einen an der schieren Menge an Ereignissen. Zum Anderen liegen viele dieser Ereignisse schon so weit in der Vergangenheit, dass die Erinnerung blass und verzerrt ist, und eine Aufarbeitung daher mindestens genauso verzerrt sein wird.

Vorbereitung

Zur Vorbereitung habe ich überlegt, welche Schwerpunkte ich in der Retrospektive legen wollte:

  1. Eine stärkere Verbindung und Verständnis zwischen den Entwicklern und dem “Management” schaffen.
  2. Aufarbeitung durch Fokussierung auf die 3 Top-Themen, die aus Sicht der Projektbeteiligten den wichtigsten Einfluss gehabt haben.
  3. Erzeugen von direkt praktisch anwendbaren Verbesserungen für jeden Einzelnen.

Da LS für die meisten Beteiligten neu war, wollte ich die Retro möglichst gut vorbereiten. Dazu habe ich ein Design StoryBoard erstellt. Mit Hilfe des Matchmaker konnte ich potentielle Schritte für die Retrospektive finden. Im nächsten Schritt musste ich die Schritte auf ein eine sinnvolle Folge von LS reduzieren, die in den zeitlichen Rahmen passten. Hier das Ergebnis:

Design StoryBoard

Insbesondere die Beantwortung der Fragen nach dem Ziel und dem Warum jedes Schritts waren für mich wichtig. Es hat mir das nötige Vertrauen in die gewählten LS gegeben und den Teilnehmern (hoffentlich) deutlich gemacht, dass die Zeit, die sie investieren, zu konkreten Ergebnissen führen werden.

Impromptu Networking

Ich war mir nicht sicher, ob ich Impromptu Networking wirklich durchführen sollte. Ich dachte, das es vor allem dazu geeignet wäre Verbindung zwischen Menschen herzustellen, die sich noch nicht kennen. Zwar kannten sich die Teilnehmer in der Retrospektive, aber sie kamen aus der Entwicklung und dem Management und hatten daher verschiedene Sichtweisen auf das Projekt und Interessen an der Retrospektive. Vor diesem Hintergrund schien es mir dann doch sinnvoll sich zu Beginn des Meeting auszutauschen.

Die Teilnehmer konnten erfahren, aus welchen Gründen die Retrospektive für die verschiedenen Personen wichtig ist. Ich glaube, dass so schon direkt zu Beginn eine gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck gekommen ist, und der Grundstein für den weiteren Verlauf gelegt werden konnte.

Fazit: Ein toller Start. Alle waren von der ersten Minute eingebunden und im Raum war die Energie fast spürbar.

1–2–4-All

Vier Jahre. Viele Höhen und Tiefen. Wie gelingt es, sich auf die drei wichtigsten Themen zu fokussieren? Wenn es darum geht Fragen, Ideen und Lösungen aus der Gruppe zu generieren, ist die 1–2–4-All Methode das Schweizer Taschenmesser der LS.

Die Frage: “Welches Thema hatte für dich den größten Einfluss auf den Projektverlauf und warum?”

Die Idee war, dass jeder seine Top 3 Themen finden sollte. In den verschiedenen Runden (Paar, 4-Gruppe, Alle) sollten sich dann die 3 Themen finden, die für die Gruppe die größte Relevanz hatten. So sollte eine nach Relevanz geordnete Liste von Themen entstehen, die auf einem Zeitstrahl eingetragen werden können. Als Ergebnis wollte ich:

  1. Eine Gesamtübersicht von relevanten Themen für den Projektverlauf, um diese ggf. später nochmal an anderer Stelle aufgreifen zu können.
  2. Die Identifikation der 3 Top-Themen für die weiteren Schritte.
Zeitstrahl mit nach Relevanz geordneten Themen

Die Themen wurden farblich gekennzeichnet: Grün waren Themen, die positiv für das Projekt waren. Rot waren Themen, die negativ für das Projekt waren.

Da es zu erwarten war, dass Themen genannt werden, die sich nur schwer auf einen bestimmten Zeitpunkt eingrenzen lassen, habe ich darum gebeten, ein Ereignis zu benennen, in dem sich die Auswirkung besonders gezeigt hat.

Fazit: Laut Rückmeldung der Teilnehmer war die Zeit, für die Formulierung von gleich 3 Themen zu kurz. Das betrifft insbesondere die erste Runde, in der jeder eine Minute Zeit für sich hatte. Ich glaube es wäre besser gewesen, wenn jeder Teilnehmer zu Beginn nur ein Top-Thema (sein Top-Thema) genannt hätte. So hätten wir am Ende trotzdem eine Top 3 gehabt, und der Austausch wäre weniger gehetzt und oberflächlich gewesen.
Grundsätzlich funktioniert 1–2–4-All aber gewohnt gut.

What, so What, now What?

Nachdem die Top 3 Themen gefunden waren, wollte ich diese im nächsten Schritt im Detail bearbeiten. Ich fand es wichtig, die Fakten soweit möglich von den Interpretationen und eigenen Schlussfolgerungen zu trennen. Es sollte deutlich werden, wie jeder seine eigene Sichtweise einbringt, ohne gleich in Diskussionen abzudriften. Dazu habe ich die LS “What, so what, now what?” gewählt, in der in drei Schritten Fakten, Interpretationen und Maßnahmen gefunden werden.

Ich habe diese LS das erste Mal überhaupt angewendet, und war gespannt, wie diese funktionieren würde. Damit die Aufgabenstellung klarer wird, habe ich zu Beginn die Ladder of Inference den Teilnehmern nochmal im Detail vorgestellt.

Vereinfachte Ladder of Inference. Die Vorlage stammt von Holisticon.

Nachdem das Ziel dieser Aufgabe klar war, konnten wir für jedes Thema in drei Runden Fakten, Interpretationen und mögliche Maßnahmen identifizieren. Dabei klebten die Teilnehmer in der Gruppe ihre Punkte an die entsprechende Stelle auf der Leiter.

Post-Its für die Themen auf der Leiter der Schlussfolgerungsleiter

Die Methode hat viele Punkte sichtbar gemacht. Es fand ein intensiver Austausch statt und jeder konnte seinen Betrag leisten. Das Thema konnte aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Am Ende konnte eine Reihe von gemeinsam getragenen Maßnahmen generiert werden.

Fazit: Meine Sorge, dass die LS zu kompliziert ist, und die Schritte nicht gut getrennt werden können, hat sich nicht bestätigt.

15% Solution

Zu guter letzt wollte ich mit der LS “15% Solution” sicherstellen, dass jeder Teilnehmer etwas Konkretes für sich aus der Retrospektive mitnehmen kann.
Selbst wenn die ersten LS nicht gut verlaufen wären, so war ich mir sicher, dass die Themen mindestens so weit beleuchtet werden konnten, das jeder eine mögliche Verbesserung finden kann.

Das hat auch geklappt. Jeder konnte für sich Dinge finden, die er in Zukunft anders machen möchte. Das ist ein gutes und konkretes Ergebnis! Allerdings waren die Verbesserungen zum Teil nicht ganz im Sinne der LS und nicht direkt und ohne das Zutun von Anderen umsetzbar. Vielleicht hätte ich die Zielsetzung der LS deutlicher machen sollen.

Zum Abschluss haben wir die Verbesserungen bei einem Bier zusammen diskutiert, diese hinterfragt und gegenseitig Anregungen geben. Ein schöner Abschluss dieser Retrospektive.

Fazit

Mein Fazit zum Einsatz der LS für die Retrospektive ist rundum positiv. Die Teilnehmer waren zu allen Zeitpunkten gut eingebunden und jeder konnte sich in gleichen Teilen einbringen. Niemand ist zu kurz gekommen. Im Gegenteil. Die Ergebnisse zeigen aus meiner Sicht ein sehr differenziertes Bild der Situation und ist damit eine gute Grundlage für eine weitere Aufarbeitung.

Ich würde in der Zukunft die ein oder andere Pause einbauen. LS binden die Teilnehmer deutlich mehr ein. Sie sind ohne Frage fordernder als klassische Methoden, in denen man sich auch mal eine Pause gönnen kann. Das war den Teilnehmern nach 2,5 Stunden auch anzumerken. Die Luft war zum Ende ein bisschen raus. Mehr Raum für kurze Pausen hätte allen Beteiligten wohl gut getan.

Rückblickend fand ich den Einsatz eines Design StoryBoard sehr hilfreich. Für das nächste Mal habe ich mir vorgenommen, die Teilnehmer im Vorfeld bei der Planung für ein Meeting mit einzubeziehen, um das Meeting noch besser auf die Bedürfnisse anzupassen.

Auf jeden Fall hat mich der Einsatz der LS erneut überzeugt. Ich werde versuchen diese regelmäßiger und auch zu anderen Anlässen zu nutzen.

Wer mehr über mich und meine Arbeit als agiler Pfadfinder bei der Firma SALT AND PEPPER erfahren möchte, kann mir bei Twitter folgen.