Der Nährboden für (High-performance) Teams

Was ist nötig, damit aus Individualisten, die in einer Gruppe zusammen arbeiten, ein Team entsteht? Was macht ein Team zu einem “High-performance” Team?

Diese Frage war für mich das zentrale Thema des Scrum Gathering 2018 in London. Es waren drei eindrucksvolle Tage, in denen ich nette Menschen kennengelernt habe, und viele neue Informationen, Eindrücken und Impulse mitnehmen konnte. Meine Auswahl an Talks aus den Tracks “Teams und Team-Building”, “Produkt-Ownership” und “Führung” gaben neue Perspektiven, oder haben bestehende Ansichten gefestigt. Zeit diese Eindrücke für mich persönlich aufzubereiten.

tl;dr

Neben einem klaren geteilten ZielMenschen mit der richtigen Einstellung und einer Kultur, in ein selbstorganisiertes Team wachsen kann, bedarf es vor allem eins: Zahlen und Fakten.

Jeder der genannten Punkte lassen sich mit Metriken erfassen und bewerten. Erst diese Zahlen ermöglichen es die Entwicklung von Teams zu analysieren, Schwächen und Stärken zu erkennen und mögliche Probleme zu beheben. Ohne diese Zahlen agieren wir im Nebel. Es sind am Ende diese Zahlen, die es ermöglichen ein “High-performance” Team von einem Team zu unterscheiden, und das Team von einer Gruppe von Individualisten.

Trotz aller (berechtigter) Kritik, die es an diesen Metriken gibt: Die Alternative darf nicht lauten weiter im Nebel zu agieren und sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen.

Der Nährboden

Damit ein Team gelingt, bedarf es im Kern nur weniger Zutaten. Diese sollten aber von höchster Qualität sein. Diese lässt sich messen. Für die Qualität sind unterschiedliche Rollen verantwortlich.

Man nehme…

Ein Ziel

Das Ziel dient der Ausrichtung des Teams. Alle müssen in die gleiche Richtung rennen.

Laut Petri Heiramo gibt es drei ganz grundlegende Vorbedingungen für das Ziel:

  1. Das Ziel muss allen bekannt und akzeptiert sein (shared goal).
  2. Das Ziel darf nicht allein erreichbar sein. Es muss die Zusammenarbeit aller Teammitglieder für die Umsetzung erfordern.
  3. Die Aufgaben auf dem Weg zum Ziel sollen so sein, dass die Teammitglieder im “Flow” arbeiten können. Das heisst, das Skillset der Teammitglieder muss zu dem Problem passen. Sonst besteht die Gefahr von Frustration oder Langeweile.

Für die Formulierung des Ziel ist der Product Owner verantwortlich. Ich habe hier einiges von dem Talk “Balanced Product Leadership” von Roman Pichlermitnehmen können.

Genau genommen gibt es nicht nur das eine Ziel. Da gibt es langfristige Ziele mit einen Zeitraum von 5 Jahren. Diese nennen wir Vision. Die Vision darf idealistisch sein und ist vielleicht auch nicht erreichbar, aber siezeigt, warumund was wir verändern wollen.
Damit wir das große Ziel erreichen können, brauchen wir eine Strategie. Diese ergibt sich aus mehreren nacheinander liegenden mittelfristigen Zielen. Diese sind schon konkreter und beziehen sich auf einen Zeitraum von 2–6 Monaten. Hier geht es um echte Wert-Versprechen und Geschäftsvorteile (Produkt-Strategie) und darum, wir wir diese in unserem Produkt (Produkt-Roadmap) in Wert setzen können.
Um unsere strategischen Ziele zu erreichen, brauchen wir eine Taktik. Hier setzen wir kurzfristige Ziele in einen Zeitraum von 1–4 Wochen.

Wichtig zu beachten ist, dass Ziele immer auch die Frage nach dem Warum und nicht nur nach dem Was beantworten sollen. Menschen wollen den Sinn und Zweck ihrer Arbeit verstehen. Je klarer die Ziele formuliert sind, desto besser kann sich das Team dahin ausrichten.

In dem Talk “Points don’t mean prizes” von Adrian Howard finden sich einige gute Anregungen, wie man durch “Bin, Thin, Split” User-Stories so schreiben kann, dass die Fokussierung des Teams nicht unnötig behindert wird. Daneben weist Adrian auch auf Werkzeuge wie das Impact-MappingOpportunity-Solution-Trees und Wardley-Maps hin, die dabei helfen Strategien und Taktiken zu erarbeiten und so noch klarer an das Team zu kommunizieren.

Aber was nützt das beste Ziel, wenn wir nicht messen können, ob wir es auch erreicht haben, bzw. wo wir uns befinden? Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heisst “Objective Key Results” (OKR). OKRs erlauben zwar keinen direkten Rückschluss darauf, ob die Ziele gut formuliert und verstanden wurde, aber es ist ein Anhaltspunkt, um die Frage nach den Zielen vielleicht mal zu stellen. Ich habe mir auf jeden Fall gleich mal das Buch “Radical Focus” von Christina Wodtke zugelegt.

Menschen

Menschen sind die atomare Einheit des Teams. Quasi die Schräubchen und Rädchen in dem “Team-Getriebe”. Damit das Getriebe gut funktioniert, muss es geölt werden. Das ist die Aufgabe der Coaches. Ihre Aufgabe ist es die Teams dabei zu unterstützen, die Prinzipien des agilen Manifest in Fleisch und Blut zu übernehmen. Coaches begleiten Menschen und Teams auf ihrem Weg und unterstützen sie hin zur Selbstorganisation und Selbstführung. Ich empfehle hier das Buch “Die 5 Dysfunktionen des Teams” von Patrick M. Lencioni.
Bernie Maloney gab im Workshop/Talk “The answer is the Question” ein paar interessante Einblicke wie mit Hilfe von neurolinguistischer Programmierung auf das Team Einfluss genommen werden kann.

Wir müssen die ganz persönlichen Ziele und Motivation der einzelnen Team-Mitglieder berücksichtigen! Das Buch “Drive” von Daniel H. Pink ist hier sehr lesenswert! Es ist enorm wichtig die persönliche Motivation jedes einzelnen vor dem Hintergrund der Team- und Produkt-Ziele und der Unternehmenskultur zu bewerten. Das muss passen, sonst ist das Knirschen im Getriebe vorprogrammiert.

Wie lässt die Qualität von Teams und Mitarbeitern in der Frage Agilität messen und bewerten? Nahe zu alle Ansätze, die ich bislang beim Coaching und der Begleitung von Teams und Organisationen auf dem Weg der agilen Transition gesehen haben, verwenden irgendeine Form eines Reifegrad. Siehe hier auch “Agiles Coaching” von Judith Andresen. Anhand von beobachteten Verhalten des Teams und der Organisation werden diese Reifegrade vergeben und so bewertet, wo sich das Team auf seinem Weg befindet, und wo die Baustellen sind.

Mein Takeaway hier ist folgendes Zitat aus dem Talk “Five Leadership Lenses for Agil Success” von Rowan Bunning:

Don’t find the people who matches the work,
find the work that matches the people — Rowan Bunning

Ich finde diese Forderung deshalb so bemerkenswert, da es ein krasser Paradigmenwechsel zur klassischen Teambildung ist, und eine meiner zentralen Ideen für eine ideale Arbeit bestätigt. Aber dazu mehr in einem zukünftigen Artikel.

Kultur

Nichts geschieht in einem leeren Raum. Und der Raum in dem sich Teams bilden ist die Kultur des Unternehmens. Die Unternehmenskultur beschreibt die Werte, Normen und Prinzipien und nicht ausgesprochenen Regeln, die in einem Unternehmen herrschen.

Kultur und Handeln bedingen sich gegenseitig. Auf der einen Seite folgt die Kultur dem Handeln jedes einzelnen wie ein Schatten. Auf der anderen Seite beeinflusst die Kultur auch das Handeln. Das Verhältnis von Personen, Kultur und Handeln beschreibt schön die Lewin’s Gleichung B = f(P, E). Das Verhalten ist eine Funktion aus der Person und der Umgebung.

Paris Petgrave gab in ihrer Keynote “Enabling Greater Autonomy, Mastery and Purpose at the Team Level” ein paar interessante Einblicke welchen Einfluss die Kultur auf das Unternehmen und die Teams hat. Es wurde deutlich, dass es gravierende Auswirkungen auf die Zufriedenheit und Motivation des Einzelnen und des Teams haben kann, wenn die Vorstellung von Werten sich zwischen den Einzelnen und des Teams, bzw. des Unternehmens zu weit auseinander liegen. Es droht ein Teufelskreis welcher seinen Ursprung der Kultur des Unternehmens hat.

Kultur ist aber häufig nur ein Bauchgefühl. Um dieses Bauchgefühl auch mit echten Zahlen zu unterstützen kann das Werte-Modell nach Shalom H. Schwartz genutzt werden. Die erfassten Werte lassen sich dann nutzen, um Teams so zusammen stellen, dass Unterschiede in der Kulturvorstellung reduziert werden. Das Tool “We love work” unterstützt bei dieser Erfassung.

Mein Takeaway hier ist: Kultur lässt sich nur über den Austausch von Personen anpassen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Person seine Werte ändert.